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Wie Ersetzt Deutschland “Raumdeuter” Müller Im letzten Gruppenspiel

Der Berliner Fußballautor @LGAmbrose wirft im Cloudbet Blog einen Blick auf die taktische Ausrichtung der deutschen Mannschaft vor dem letzten Spiel in Gruppe F gegen Ungarn. Dabei geht es besonders darum das Fehlen des unerschütterlichen Spielmachers Thomas Müller zu kompensieren.

Der Raumdeuter hat eine neue Rolle in der Nationalmannschaft

Thomas Müller ist als Spielertyp so einmalig, dass in einem beliebten Fußball Manager-Videospiel nur wegen ihm eine völlig neue Rolle geschaffen wurde. Der Raumdeuter. Ein Name, den er sich selbst verpasst hat, um sein größtes Talent zu beschreiben: die Gabe, das Spiel lesen zu können und im richtigen Moment an der richtigen Stelle zu sein, völlig ungedeckt. Ursprünglich interpretierte Müller seine Rolle als Quasi-Freigeist, der meist auf der rechten Seite startend, weniger im Spielaufbau eingebunden ist, sondern im freien Raum umherstreift, um dann im entscheidenden Moment im Strafraum aufzutauchen.

Diese Rolle übernahm am Samstag beim 4:2-Sieg gegen Portugal ein anderer deutscher Spieler, nicht Müller sondern Kai Havertz. Das soll nicht heißen, dass Müller keine bedeutende Rolle gespielt hat – das tat er ohne Zweifel. In den letzten beiden Jahren hat der Bundestrainer auf Müller verzichtet, auch Mesut Özil hat seit der WM 2018 kein Länderspiel mehr bestritten. Müller hat auch auf Klubebene zuletzt eine etwas andere Rolle ausgefüllt. Und setzt jetzt dort auch bei der Nationalmannschaft nahtlos an. Seitdem Müller in die Mannschaft zurückgekehrt ist, nutzt er seine Spielintelligenz vermehrt um das Spiel zu diktieren und Torchancen zu kreiert anstatt diese selbst zu erzielen.

Gegen Portugal war er eine zentrale Figur für das deutsche Spiel. Um einen Begriff aus dem Basketball zu verwenden, ist Müller ein Spieler mit einer „enormen Anziehungskraft“. Doch nicht, weil er zu ausgezeichneten Dribblings oder atemberaubenden Sprints ansetzt – beides kann er weniger gut – sondern aufgrund seiner Begabung, das Spiel zu lesen. Müller bringt sich selbst in Stellung und zwingt so die gegnerischen Abwehrspieler Entscheidungen zu treffen. Welcher Abwehrspieler rückt raus um Müller zu verteidigen? Wer stellt die entstandene Lücke zu?

Portugal hatte auf diese Fragen keine Antworten, weil sie auf die Rolle des Raumdeuters/ Spielmachers Müller am Samstag keine adäquaten Lösungen bereit hatten.

Portugal hatte auf den Raumdeuter keine Antworten

5. Minute: Der Ball wird in Richtung Müller gespielt, das portugiesische Mittelfeld verschiebt sich entsprechend zum Ball, wobei sich auf der rechten deutschen Angriffsseite eine Lücke auftut.

Müller wird attackiert, doch er kann den Ball auf die rechte Angriffsseite zum aufgerückten Matthias Ginter weiterleiten. Deutschland ist dadurch plötzlich auf beiden Außenbahnen in der Überzahl.

Ginter hat Platz für eine gefährliche Flanke, die Serge Gnabry nicht erreichen kann, wohl aber Linksverteidiger Robin Gosens, der den Ball artistisch ins gegnerische Tor befördert. Dessen Treffer jedoch aberkannt wird, weil Gnabry knapp im Abseits stand.

Doch die ganze Situation geht von Müller aus, der die Schwächen in Portugals Positionsspiel ausnutzt, Räume schafft und Spieler an sich bindet.

Beim zweiten deutschen Tor ist es wieder Müller, der die Aufmerksamkeit der portugiesischen Abwehr auf sich zieht, wodurch Kimmich am zweiten Pfosten plötzlich freisteht. Dessen scharfe Hereingabe wird von Guerreiro unhaltbar ins eigene Netz befördert wird.

Auch an der Entstehung des dritten und vierten deutschen Tores ist Müller beteiligt.

Beim dritten Treffer befindet sich der Ball zunächst im Mittelfeld und Portugals Abwehr hat sich sortiert, als Müller, eng gedeckt von William Carvalho, den Ball über Gündogan und Havertz zugespielt bekommt und ihn nach Doppelpass mit Kimmich an Gosens weiterleitet:

Müller ist immer in Bewegung. Keiner seiner Laufwege ergibt sich aus Zufall. Er sprintet auf die rechte Seite, und zieht Gegenspieler auf sich.

Portugal wird auseinandergezogen und Gündogan hat genügend Zeit, den Ball anzunehmen und ihn auf Müllers Anweisung hin zu Havertz an der Seitenlinie weiterzuleiten. Müller rückt wieder in die Mitte, spielt einen schnellen Doppelpass mit Joshua Kimmich …

… und hat wieder genug Raum um auf links Robin Gosens frei zu spielen. Gosens flankt, Havertz trifft.

Beim vierten Tor kreiert Müller in der Entstehung erneut den entscheidenden Raum: Er bindet Ruben Dias, als der Ball zurückgespielt wird und sich Renato Sanches von Kai Havertz löst, um Mats Hummels unter Druck zu setzen.

Müller hat Blut geleckt. Er lässt sich ins Mittelfeld zurückfallen, zieht Dias mit sich und zeigt Havertz an, in den freien Raum zu laufen.

Als der Ball bei Müller ankommt, hat Dias seine Position in der Abwehrkette verlassen. Havertz stößt in den freien Raum vor wodurch sich Portugals Linksverteidiger Raphael Guerreiro entscheiden muss, ob er Havertz stellt oder besser auf der anderen Seite Joshua Kimmich zuläuft.

Guerreiro muss den Raum dicht machen, den Dias hinterlassen hat. Der Ball wird nach rechts gespielt und dann unbedrängt von Kimmich vor das Tor geschlagen, wo Gosens hochsteigt und den Ball in die Maschen köpft.

Havertz als Müller-2010, nicht Müller-2021

Wahrscheinlich wird Müller der deutschen Mannschaft jetzt gegen Ungarn und eventuell in einem möglichen Achtelfinale fehlen. Wer kann die Rolle Müllers in den kommenden spielen ausfüllen? Noch am ehesten Havertz, doch der ist im deutschen Spiel mehr als Vollstrecker gefragt denn als Vorbereiter, der das Spiel leitet und Lücken reißt – 2010 wäre er der perfekte Ersatz für Müller gewesen, im aktuellen Spiel der Nationalmannschaft jedoch weniger. Beide nehmen völlig verschiedene Rollen ein und Havertz verfügt aktuell über ganz andere Stärken, die er als Müller-„Ersatz“ nicht einbringen könnte.

Wenn der Bundestrainer Thomas Müller nicht adäquat ersetzen kann, muss er etwas am Spielaufbau verändern. Leroy Sané und Timo Werner haben auf der deutschen Bank, den wohl größten Anspruch auf einen Platz in der vorderen Angriffsreihe. Beide Spieler haben jedoch ein anderes Skillset und noch weniger mit Müller gemein als Havertz. Sie sprinten mit hoher Geschwindigkeit in die freien Räume hinter der Abwehrkette und halten sich weniger dort auf, wo es im Mittelfeld auf engem Raum zur Sache geht.

Goretzka ist die wahrscheinlichste Antwort

So könnte sich Joachim Löw für Leon Goretzka entscheiden, der wieder fit ist und bereits gegen die Portugiesen eingewechselt wurde. Beim Portugal-Spiel war er noch keine Option für die Startelf, doch gegen Ungarn könnte dies der Fall sein.

Mit Goretzka verfügt Deutschland über einen weniger subtilen, sondern eher körperlich herausragenden Spieler, der nicht so offensiv agiert wie Müller. Während die Angriffsleistung gegen Portugal ausgezeichnet war, blieb die DFB-Elf bei Kontern anfällig, und auch beim Spiel gegen den Ball gibt es durchaus noch Verbesserungspotential.

Goretzka könnte als zusätzlicher Mittelfeldspieler dem deutschen Mittelfeld zusätzliche Stabilität geben, ohne dass die deutsche Mannschaft zu viel an Torgefahr einbüßen muss; der Bayern-Spieler hat sich bereits mit Toren für seinen Verein und für sein Land offensiv mit eingebracht. Seine Einbindung in das Team würde zusätzlich dafür sorgen, dass Ilkay Gündogan mehr Freiräume bekommt und sich so häufiger im letzten Drittel mit einschalten kann, als dies bisher der Fall war.

Diese Rolle hat er in der abgelaufenen Saison auch selbst verstärkt ausgefüllt. Für Manchester City traf er überragende 17 Mal und wurde so für seinen Klub auch zu einer Art Raumdeuter.

Müller kann spielentscheidend sein, keine Frage, jedoch muss sein jetzt vom Team gemeinsam aufgefangen werden. Ohnehin ist Deutschland auch bei Cloudbet in diesem Spiel der große Favorit:

Deutschland gewinnt 1.19. Unentschieden 8.25. Ungarn gewinnt 16.0.

Mit acht verschiedenen deutschen Spielern mit einer Quote von 5.0 für ein Tor während 90 Minuten, deuten die Quoten darauf hin, dass sich auch dieses Spiel zu einem Torfestival entwickeln könnte.

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